SPOT THE SPOTS

Tarangire & Serengeti, Tansania

Monica Bond, Universität Zürich / Wild Nature Institute

Die ostafrikanischen Savannen von Serengeti und Tarangire gehören zu den spektakulärsten Landschaften der Welt. Die beiden Ökosysteme im Norden Tansanias sind von Grasland und Akazienbäumen überwachsen, in denen Millionen Grosssäuger wie Zebras, Löwen, Antilopen, Elefanten und Leoparden frei umherstreifen. Eines der eindrucksvollsten und bekanntesten Tiere dieser Savannen ist die Giraffe, das grösste Säugetier der Welt.

Hier – auf einem Gebiet von gut 25’000 Quadratkilometern – führen Monica Bond von der Universität Zürich und ihr Team vom Wild Nature Institute eine umfassende Studie über Geburten, Todesfälle, Bewegungen und Verhaltensweisen von Massai-Giraffen (G. c. tippelskirchi) durch. Das Masai Giraffe Project läuft seit 2011 und basiert auf den Daten von rund 4.000 Tieren. Es ist die grösste individuenbasierte demographische Giraffenstudie der Welt.

Eine Gruppe junger männlicher Giraffen im Tarangire-Nationalpark (©Monica Bond/Derek Lee).

SCHUTZMASSNAHMEN FÜR DIE TIERE
Die Massai-Giraffen sind wegen menschlicher Aktivitäten vom Aussterben bedroht. In den letzten drei Jahrzehnten ist ihr Bestand um 50 Prozent zurückgegangen. Immer mehr der Savannenwälder, in denen die Tiere leben, werden in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt. Auch die Wilderei ist ein wachsendes Problem: viele Massai-Giraffen werden für den Buschfleischmarkt getötet.

Das Masai Giraffe Project soll helfen, diese negativen Entwicklungen zu stoppen. Monica Bond und ihr Team halten die Geburten und Todesfälle ihrer 4’000 Studientiere fest und beobachten, wie die Giraffen miteinander interagieren und wie sie sich durch ihre Lebensräume bewegen. So finden sie heraus, wo es den Giraffen gut geht, wo nicht, und wieso.

Mit ihrer Forschung liefern sie wichtige Informationen für die Entwicklung von Schutzmassnahmen, die für das Überleben der Art notwendig sind. So haben sie zum Beispiel herausgefunden, dass weibliche Giraffen, die dazu neigen, sich mit mehr anderen Giraffen zusammenzuschließen, besser überleben als sozial isolierte Tiere (→Bond et al., 2021) – dass aber die Nähe zum Menschen ihren sozialen Zusammenhalt schwächt (→Bond et al., 2020).

Monica Bond und ihr Team können diese Daten nur erheben, weil sie die einzelnen Tiere voneinander unterscheiden können. Giraffen bieten sich für Individuen-basierte Studien wie das Masai Giraffe Project an – denn genau wie unsere Fingerabdrücke sind auch die Fellmuster von Giraffen einmalig und bleiben ein Leben lang unverändert.

EINE SOFTWARE ZUR MUSTERERKENNUNG
Seit den 1960er-Jahren nutzen Ökolog:innen Fellmuster, um Giraffenindividuen zu erkennen. Lange unterschieden Forscher:innen die Tiere von Auge, entweder mithilfe von Fotos oder von Fellmusterzeichnungen, die sie im Feld anfertigen.

Vor etwas über zehn Jahren erschien schliesslich die erste Mustererkennungssoftware, die diese Arbeit automatisierte. Heute machen es Programme wie WildID (→Bolger et al., 2012) möglich, mit riesigen Datensätzen zu arbeiten. Die Kombination von digitaler Fotografie mit maschinellem Lernen eröffnet völlig neue Forschungsmöglichkeiten. Zum Beispiel lassen sich damit die sozialen Beziehungsnetzwerke von mehreren Tausend Giraffen analysieren, was ohne digitale Hilfsmittel unmöglich wäre.

Monica Bond und ihr Team arbeiten mit WildID, um die 4’000 Giraffenindividuen zu unterscheiden, die sie erforschen. Sechsmal pro Jahr fahren sie die 25’000 Quadratkilometer ihres Untersuchungsgebiets auf einer festgelegten Route ab, fotografieren jede Giraffe, die sie sehen, und notieren sich ihren Standort, ihr geschätztes Alter und ihr Geschlecht. Im Zeitraum von knapp zwei Wochen pro Ökosystem schiessen sie in der Regel über Tausend Fotos, die sie dann für die Fellmustererkennung in WildID einspeisen (→Lee, Bond et al., 2022).

Um die Bilderkennung mit WildID zu erleichtern, hat das Wild Nature Institute gemeinsam mit Microsoft AI for Good ein automatisiertes Verfahren entwickelt, um all diese Fotos auf den Giraffen-Torso zuzuschneiden. Das erspart den Forscher:innen Tage oder Wochen an Routinearbeit, die sie stattdessen mit der Analyse ihrer Daten verbringen können ((→Buehler, Lee et al., 2019).

Besucher:innen vor Spot the spots (©Yanik Bürkli).

EIN MEMORY FÜR DIE FORSCHUNG
Inzwischen sind Mustererkennungssoftwares die Norm in der Giraffenforschung. Erstens sind sie kostengünstiger als andere Datenerhebungs-Methoden: Viele dieser Programme sind online frei zugänglich und wer über eine Kamera und einen Computer verfügt, kann sie nutzen. Zweitens ist die Arbeit mit Digitalfotos oder Kamerafallenaufnahmen in Kombination mit KIs weniger invasiv als andere Methoden. Dank ihnen müssen Tiere nicht eingefangen und beispielsweise mit GPS-Sendern versehen werden, um Daten zu Individuen erheben zu können. Denn das ist nicht nur zeitaufwändig und extrem teuer, sondern auch mit Stress für die Tiere verbunden. Monica Bond und ihr Team legen Wert darauf, dass sie die wild lebenden Giraffen mit ihrer Forschung nicht stören.

Mit spot the spots hat die Universität Zürich ein interaktives Format entwickelt, das die Möglichkeiten, die maschinelles Lernen der Wildtierforschung eröffnet, einem breiten Publikum kommunizieren soll. Die Szenografin Sonja Koch und die Grafikerin Meltem Kalayci haben mit Bildmaterial aus dem Masai Giraffe Project ein Memory gestaltet, das Kinder und Erwachsene herausfordert, sich mit einer Mustererkennungssoftware zu messen.

So vermittelt spot the spots interaktiv, wie künstliche Intelligenz im Natur- und Artenschutz eingesetzt werden kann – und wieso das wichtig ist. Denn maschinelles Lernen ermöglicht langfristige und vertiefte Forschungsprojekte, in denen Forscher:innen mehr und andere Fragen beantworten können als ohne digitale Hilfsmittel.

Monica L. Bond ist Wildtierbiologin und Biodiversitätsaktivistin mit einem Schwerpunkt auf der Integration von Verhaltensökologie und Demografie zur Erhaltung bedrohter Arten. Sie ist Postdoktorandin an der Universität Zürich und leitende Wissenschaftlerin am Wild Nature Institute, das sie 2011 mitbegründet hat. Ihre aktuelle Forschung konzentriert sich auf die Populationsdynamik von Giraffen in den Ökosystemen Tarangire und Serengeti im Norden Tansanias. Damit möchte sie den Schutz und das Management von Giraffen und anderen tropischen Huftieren verbessern, die in zunehmend vom Menschen beeinflussten Ökosystemen leben.